Zum Umfang rechtswidriger Gewaltanwendung durch Polizeibeamt*innen liegen bislang kaum empirisch gesicherte Erkenntnisse vor. Einerseits werden die vorhandenen statistischen Zahlen zur Körperverletzung im Amt, die eine äußerst geringe Anklagequote von etwa 2 % ausweisen, höchst unterschiedlich interpretiert. Die Deutungen reichen von einem hohen Anteil unberechtigter Anzeigen bis hin zur massenhaften rechtswidrigen Privilegierung von Amtsträger*innen. Andererseits gibt es trotz anhaltender öffentlicher Diskussion praktisch keine Studien zum Dunkelfeld dieses Deliktsbereichs, obwohl dieses mutmaßlich eine besondere Struktur aufweist. Vor diesem Hintergrund soll das Forschungsprojekt

Methodisch wird dies mit einer quantitativen Opferbefragung umgesetzt, in deren Rahmen erstmals eine systematische Erhebung von Daten zu Opfern rechtswidriger Polizeigewalt erfolgt. Die Ergebnisse der quantitativen Erhebung werden mittels qualitativer Interviews mit Polizist*innen, Staatsanwält*innen, Anwält*innen, Vertreter*innen von Opferberatungsstellen und weiteren ExpertInnen vertieft und ergänzt.

 

Ausgangspunkt der Untersuchung ist der empirisch gesicherte Umstand, dass es beim Einsatz von Gewalt durch die Polizei in gewissem Umfang zu Fehlverhalten kommt. Polizeibeamt*innen wenden im Rahmen ihrer Dienstausübung tagtäglich unmittelbaren Zwang an; dabei wird die Grenze zwischen rechtmäßigem Exekutivhandeln und unverhältnismäßigem Gewalteinsatz mitunter überschritten. Seitens der Staatsanwaltschaft muss in diesen Fällen der Tatbestand der Körperverletzung im Amt geprüft werden. Die sich hiermit befassenden Verfahren weisen eine besondere justizielle Erledigungsstruktur auf. In fast allen Fällen erfolgt eine Einstellung des Verfahrens, über 90 % werden auf diese Weise abschließend durch die Staatsanwaltschaften erledigt. Nur rund 2 % aller eingeleiteten Verfahren münden in einem Strafbefehlsantrag oder einer Anklage. Deliktsübergreifend liegt die Anklagequote bundesweit demgegenüber bei über 20 % – um ein Zehnfaches höher.

Bislang ist das Themenfeld rechtswidrige Gewaltanwendung durch Polizeibeamt*innen in Deutschland empirisch nur in Ansätzen bearbeitet. Die vorliegenden Studien und Berichte zu Deutschland erschöpfen sich in einer Auswertung von Statistiken und der qualitativen Betrachtung von Einzelfällen oder untersuchen die Perspektive von Polizeibeamt*innen. Damit fehlt es sowohl an empirischen Untersuchungen zum Umfang rechtswidriger Gewaltanwendung durch PolizeibeamtInnen insbesondere im Dunkelfeld, als auch zum Anzeigeverhalten in diesem Bereich – obgleich diese Aspekte aus mehreren Gründen von besonderem Interesse sind. Insbesondere ist hier mit einem vergleichsweise ausgeprägten Dunkelfeld zu rechnen. Valide Aussagen über Ausmaß und Struktur strafbarer Gewaltanwendung durch Polizeibeamt*innen lassen sich demnach erst treffen, wenn hinreichende empirische Erkenntnisse auch zum Dunkelfeld vorliegen.

An dieser Stelle setzt die Studie zur Viktimisierung durch rechtswidrige polizeiliche Gewaltanwendung an, indem sie erstmals einschlägige Geschehensabläufe im Hell- wie auch im Dunkelfeld aus der Perspektive der Opfer und der Polizist*innen in den Blick nimmt und das Anzeigeverhalten in diesem Deliktsbereich untersucht. Letzteres ist entscheidend dafür, ob ein polizeiliches Fehlverhalten vom Dunkelfeld ins Hellfeld gelangt.

Dies soll in einem ersten Schritt durch eine quantitative Opferbefragung zu Erfahrungen mit rechtswidriger Gewaltanwendung durch Polizeibeamt*innen sowie zu dem diesbezüglichen Anzeigeverhalten umgesetzt werden. Die im Zuge dessen gewonnenen Erkenntnisse werden dann in einem zweiten Schritt durch Interviews mit Expert*innen aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen ergänzt. Hierzu zählen: Führungskräfte, interne Ermittler*innen und im Vollzugsdienst eingesetzte Beamt*innen der Polizei, Vertreter*innen von Opferberatungsstellen, Journalist*innen und Staatsanwält*innen, Richter*innen und Anwält*innen. Bei allen Erhebungs- und Auswertungsschritten wird an die vorliegenden Arbeiten zu rechtswidriger polizeilicher Gewaltanwendung ebenso angeschlossen, wie an den allgemeinen kriminologischen Forschungsstand zu Anzeigeverhalten, Dunkelfeld und Viktimisierung.

Die Ergebnisse der Studie lassen einerseits empirisch fundierte Aussagen über Fehlverhalten bei der polizeilichen Gewaltausübung zu und ermöglichen erstmals differenzierte und belastbare Aussagen über Viktimisierungsrisiken, Dunkelfeld und Anzeigeverhalten in diesem Deliktsbereich. Andererseits können sie auch über diesen konkreten Ertrag hinaus den Diskurs zum Verhältnis von Polizei und Gesellschaft sowie die kriminologischen, öffentlich-rechtlichen und polizeiwissenschaftlichen Fachdiskurse – auch mit Bezug auf die europäische Diskussion zu der Thematik – entscheidend bereichern. Insbesondere der Fokus auf die Betroffenenperspektive und die Verknüpfung mit Erkenntnissen über Hürden bei der Strafverfolgung von rechtswidriger polizeilicher Gewalt stellen für die deutschsprachige empirische Polizeiforschung eine Innovation dar.